Ich nenne ihn einfach mal Peter. Peter kam über seine Freundin, mit
der er sieben Jahre zusammen war, zu mir. Sie hatte das Gefühl, er entfernte sich immer mehr von ihr. Sie wünschte sich körperliche Nähe
und liebevolles Miteinander im Alltag, doch diese entstand einfach nicht.
Obwohl beide sich als Paar empfanden, zog Peter in eine eigene Wohnung, ging also auf Distanz. Seine Freundin war verzweifelt, verständlich, wenn
unter allem doch Liebe liegt. Und wie das Leben so mithilft, meldete sich eine vergangene große Liebe bei
ihr. Was nun?
Die Freundin bat ihn mit zu einer Aufstellung zu kommen: "Einmal nur, komm einmal mit, einmal nur. Bitte.“ Nun ja, Peter war dabei, schaute zu, war
überrascht, stand in Stellvertretungen (immer mit dem Gefühl, er fühle nichts) und entschloss sich im Laufe des Tages, selbst aufzustellen. Was möglich ist, wenn das Tagesseminar nicht ausgebucht ist. Ja, was willst Du denn aufstellen? Sein Wunsch war, sich
und seine Mutter und seine Schwester aufzustellen. Da wäre was.
Ich bin während meiner Seminare immer im wissenden Feld. Auch in den Pausen, auch wenn wir mittags auswärts essen gehen. Ich liebe es, in diesem Feld
zu sein.
Zu sehen, zu fühlen, zu hören und plötzlich zu wissen.
Und so hatte ich Peter in den Pausen sprechen hören, von Rauschmitteln, die er nahm, aber auch von einem Kloster, in welchem er sich wohl
fühlte.
Also sagte ich ihm, ich vermute, er hat eine „All-Eins“ Sehnsucht, er sucht etwas, was ihm fehlt. Das im Alltag nicht da ist. Und auch mit der
Freundin nicht lebbar.
Ich entschloss mich, nur Peter aufzustellen in seinem Lebensstufen. Das ist eine Aufstellungsform von Wilfried Nelles, der Lebensintegrationsprozess
kurz LIP genannt.
Man schaut in die Lebensstufen eines Menschen. Stufe 1 ist die Zeit ab der Zeugung, bis wir unser Umfeld und uns bewusst - also getrennt -
wahrnehmen. Stufe 2 ist das kleine Kind. Stufe 3 ist die puberträre Zeit bis zum Erwachsenwerden. Stufe 4 ist der junge Erwachsene. Stufe 5 der reife Erwachsende. Stufe 6 der alte
(weise) Erwachsene, Stufe 7 der Tod. Diese Stufen standen als Zahl auf Zetteln, die ich im Kreis auslegte. (Das Prinzip ist in
zahlreichen Büchern von Wilfried Nelles nachzulesen, doch erfahrbar natürlich nur in den Seminaren bei Wilfried Nelles.)
Peter stellte sich auf die 4 - der Lebensstufe, in der er sich wahrnahm. Für die Stufe 1, 2 und 3 wählte er Stellvertreter, die ihre Position auf den
Zetteln einnahmen.
Rasch zeigt sich, dass die Stellvertreterin auf Stufe 1 nicht mehr stehen konnte und so empfahl ich ihr, dem Gefühl nachzugeben. Sie sackte in sich
zusammen und kauerte am Boden. Die Stellvertreterin auf Stufe 2 wankte stark und blickte auf den Boden. Die Stellvertreterin auf Stufe 3
war kraftvoll, beweglich und wütend auf die Schwäche der Positionen 1 und 2.
Peter schaute nun auf sich in seinen Lebensstufen und Stille und Unverständnis aller Teilnehmer entstand im Raum.
Aufstellungsarbeit bedeutet vor allem warten. Hinsehen und warten.
Stufe 1 wand sich, weinte, konnte nicht aufstehen und zeigte deutlich, dass sie nicht geboren werden wollte. Stufe 2 wankte stärker und wurde
schwächer. Stufe 3 immer hilfloser und wütender.
Wir warteten auf eine natürliche Bewegung, eine Veränderung in den Positionen. Doch nichts geschah. Ich konnte Peter anschauen, ganz klar, er war
geboren. Groß und kräftig da. Arbeitet in seinem Handwerk körperlich schwer, also, was fehlte dort am Anfang des Lebens, um ganz ins Leben zu gehen?
Und es fehlte ja bis jetzt, sonst würde es sich ja nicht zeigen. Es fehlte immer noch.
Plötzlich wusste ich es. Ein Zwilling. Ich bat eine Teilnehmerin, sich in embryonaler Haltung zu der Stellvertreterin in Stufe 1 zu legen.
Hier zeigte sich eine Qualität und Bereitschaft, die sich entwickelt, wenn man öfter in Stellvertretungen gestanden hat. Man dient mit seinem Körper,
man lässt sich führen, einfach so. So legte sich die Teilnehmerin zur Stufe 1 und diese wurde ruhiger. Alles wurde ruhiger. Wir schauten dieser Innigkeit zu und ließen es
geschehen. Dann sagte die Stellvertreterin in Stufe 1 „ich will dich nicht allein lassen“.
Wieder schaute ich Peter an und wusste, doch, das war geschehen. Er war ohne seinen embryonalen Zwilling geboren. So ließ ich die Repräsentantin des
verlorenen Zwillings sagen: „Nicht du lässt mich allein, ich lasse dich allein. Du musst allein gehen. Ich bin nur ein Stück mitgekommen,
damit du dich traust“.
Wieder warteten wir, bis die Stellvertreterin der Stufe 1 diese Worte annehmen konnte. Nun zog sich, auf meine Vorgabe hin, der verlorene Zwilling
langsam zurück und die Teilnehmerin setzte sich wieder auf ihren Platz.
Die Stellvertreterin der Stufe 1 wurde ruhiger und kraftvoller und konnte sich erstmals hinknien und alle anblicken. Ein erster Blickaustausch mit
Peter war da. Ich ließ ihn sagen: „Schau mich an, wir sind geboren. Es ist gut gegangen, Ich danke dir!“
Nun befragte ich die Stellvertreterin der Stufe 2, wie es ihr geht. Sie sagte, sie hatte die ganze Zeit über ebenfalls das Gefühl gehabt, nicht leben
zu wollen. Es wäre auch jetzt noch so, wo sich die Stufe 1 aufgerichtet und mittlerweile aufgestanden war. Es würde sie ruhiger machen, aber gut fühle es sich nicht an. Beide
Stellvertreterinnen nahmen sich in den Arm und dann an die Hand. Die Stellvertreterin der Stufe 3 war beruhigt, die anderen beiden zu
sehen und hatte wirklich große Lust, dass es nun „losgeht“.
An der Stelle habe ich die Aufstellung beendet. Peter erzählte dann von seiner Mutter, den vielen Fehlgeburten und dem
großen Glück, als er geboren wurde. Und von seiner schweren Zeit, wirklich leben zu wollen. Er erkannte sich in dem Gefühl, was sich gezeigt hat. Nahm das, was er
gesehen hat, als zu im gehörend an.
Und das Schöne & Wunder der Aufstellungsarbeit: er war verändert. Liebevoll im Alltag, die Beziehung, das
Miteinander mit seiner Lebenspartnerin ist innig und nah.
Ich musste immer schmunzeln, wenn sie mich Tage und Wochen danach ungläubig fragte: "Bleibt das?" Ja es
blieb.
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